Vanessa Ahuja, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), hält Reformen der sozialen Sicherungssysteme angesichts des demografischen Wandels für unausweichlich. „Da Beitragssatzerhöhungen aktuell nicht zur Debatte stehen, brauchen wir Reformen in den Sozialversicherungssystemen“, sagte Ahuja der „Welt am Sonntag“.
Sie sprach sich allerdings für einzelne Reformschritte statt für eine groß angelegte Reform wie durch die Hartz-IV-Kommission aus. „Eine strukturierte Reformkommission wäre sinnvoll“, sagte Ahuja. „Eine große Gesamtreform halte ich aktuell aber für sehr ambitioniert. Es wäre besser, mit gezielten Schritten in einzelnen Bereichen zu beginnen.“
Ahuja, einst Abteilungsleiterin im Bundesarbeitsministerium, wirkte in den 2000er-Jahren selbst in der Hartz-IV-Kommission mit. „Die Probleme, die wir heute haben, waren schon damals absehbar – und auch die Lösungsmöglichkeiten waren klar“, sagte sie. Viele notwendige Veränderungen seien aber nicht durchsetzbar gewesen, weil der Druck auf die Politik noch nicht groß genug gewesen sei.
Man müsse nun „alle Hebel nutzen“, um die Lücke zu schließen, die durch den Renteneintritt der Babyboomer-Generation gerissen werde. „Qualifizierte Erwerbsmigration ist ein solcher Hebel“, sagte Ahuja. „Es gibt aber auch noch andere Potenziale: ältere Erwerbstätige, Frauen in Teilzeit, Langzeitarbeitslose. Nur mit einer Kombination aus qualifizierter Zuwanderung, Aktivierung vorhandener Arbeitskräfte und Produktivitätsfortschritten können wir das Problem lösen.“
Schon jetzt sehe man die Folgen des demografischen Wandels. „Wenn Arbeitskräfte fehlen, entstehen Wachstumsverluste und Versorgungsengpässe – das sehen wir heute schon in Branchen wie der Gastronomie oder der Pflege“, sagte die BA-Vorständin.
Sie warnte vor den Konsequenzen, wenn die Ziele bei der Steigerung der Zuwanderung von Arbeitskräften verfehlt würden. „Dann drohen drastische Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft: Unternehmen könnten Investitionen streichen oder abwandern“, sagte Ahuja. „Branchen wie die Gastronomie, die Pflege oder das Handwerk könnten ihre Leistungen nicht mehr in vollem Umfang anbieten. Zugleich fehlen dann Beitragszahler in den Sozialversicherungen.“
Um die Verfahren bei der Erwerbsmigration zu beschleunigen, müsse man die Prozesse verändern und weniger Behörden beteiligen. Auch die Hochschulen müssten sich verändern, um mehr ausländischen Studenten nach ihrem Abschluss einen Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. „Ich wäre dafür, dass wir in den Studiengängen Deutsch als Pflichtfach verankern“, sagte Ahuja. „Arbeitgeber sollten offener auf internationale Talente zugehen, aber wenn Deutschkenntnisse für die Stelle nötig sind, wird es nun mal schwierig.“
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