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Netzwerk der Vielfalt: Solange queere Menschen übergangen werden, wird es uns geben

Am 29. Mai findet der Christopher Street Day in Osnabrück statt. Themenbild: Pixabay

Osnabrück. Das Netzwerk der Vielfalt hat sich 2018 mit dem Ziel gegründet, dass alle Vereine, Gruppen und Institutionen die einen LSBTIQ* Bezug haben besser zusammenarbeiten können, um ihre Forderungen gegenüber der Politik zu vermitteln. So wurde 2019 ein CSD mit über 1.300 Personen in Osnabrück organisiert. Nun ist am Samstag wieder eine größere Veranstaltung geplant. 

Interview mit Rebecca Herzberg, Organisatorin des CSD im Netzwerk der Vielfalt

Rebecca Herzberg. Foto: Privat

Beim neu aufgelegten CSD 2019 sind über 1.300 Personen zusammengekommen, um für die Rechte der LSBTIQ*-Community einzutreten. Gibt es schon Pläne für nach der Krise? 

Solange lesbische, schwule, bisexuelle, trans, inter und queere Menschen immer noch bedroht, diskriminiert, verschwiegen oder übergangen werden, wird es uns geben. Leider lässt sich ein negativer Trend in Deutschland beobachten: In 2018 (auch zu finden im Gay Travel Index) rutschte Deutschland 20 Plätze runter. Wir machen darauf aufmerksam. Wir wollen Veränderung und ein Umdenken erwirken. Aufklärungen in den Schulen sind leider aufgrund der Pandemie völlig nach hinten gerutscht. 


Welche Aktionen konntet ihr in der Zwischenzeit umsetzen?

Einen Christopher Street Day zu organisieren, ist eine große Herausforderung. Wir haben uns 2018 gegründet und unsere erste große Aktion war der CSD. Dieser hat mehr Zeit, Kraft und Energie gebraucht als wir dachten. Da wir so groß gestartet sind, haben wir bis Anfang 2020 weiter daran gearbeitet, den CSD im Jahr 2020 noch größer zu gestalten. Letztendlich mussten wir ihn dann absagen. Wir waren an dem CSD-Tag allein mit dem Team vor Ort und haben die Forderungen einem Vertreter der Stadt übergeben. Im Anschluss gab es unseren queeren Gottesdienst, der in Zusammenarbeit mit Herrn Pastor Uhlhorn von der St. Marienkirche entstanden ist und gestaltet wurde. Dort konnten wir knapp 100 Menschen einen wundervollen Gottesdienst bescheren. Ende letzten Jahres haben wir uns wieder zusammengefunden und besprochen, dass ein CSD auch in dieser Zeit sein muss. Wir unternahmen alles Erdenkliche, damit wir sicher und gesund unsere Demonstration durchführen können. 

Vom 26. Juni bis 10. Juli wird das Projekt „Säule der Vielfalt“ (eine Aktion vom LSVD in Niedersachsen) nach Osnabrück kommen. Dort werden nicht nur Wünsche, Forderungen und Kritik von LSBTIQ*-Menschen in Niedersachsen gesammelt, sondern auch Möglichkeiten zur politischen Teilhabe eröffnet. Die Ergebnisse sollen im Herbst als Forderungspapier zur Landtagswahl 2022 an den Landtag übergeben werden. Osnabrück wird als eine von 10 Städten daran teilnehmen. 

Natürlich sind wir das ganze Jahr mit dem CSD, den Forderungen, aber auch Gesprächen über die Forderungen beschäftigt. Wir haben zusätzlich noch einzelne Arbeitsgruppen, die sich zum Beispiel mit dem Queeren Zentrum oder der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigen. 

Wie offen ist das Ohr der Osnabrücker Kommunalpolitik? 

Wir vom Netzwerk würden uns von der Stadt mehr Hilfe wünschen. Bei dem CSD 2019 gab es einige Erschwernisse. Zum einen war es uns ein Anliegen, dass die Regenbogenfahne am Rathaus hängt. Da gab es leider einige Schwierigkeiten, aber letztendlich wurde die Regenbogenfahne als Menschenrechtsfahne gehisst. Nun sah es dieses Jahr ganz anders aus: Im Dezember 2020 hatten wir mit unserem Oberbürgermeister Griesert und Frau Weber-Kahn vom Gleichstellungsbüro ein Gespräch. Dort sprachen wir (das erste Mal) über unsere Forderungen an die Stadt. Am 17. Mai, dem IDAHOBIT Tag, wurde dann von der Stadt zentral am Rathaus eine Regenbogenfahne gehisst. 

Als wir 2019 gestartet sind, hat keine_r mit solch einer Resonanz gerechnet. Wenn wir in die Terminvergabe gehen, dann haben wir das Gefühl, hinten angestellt zu werden. Es gibt viele Veranstaltungen in Osnabrück, die jedes Jahr den gleichen Termin bekommen, um so ihren Besucher_innen eine Regelmäßigkeit zu bieten. Das würden wir uns auch wünschen. 

Eine wichtige Forderung, die diese Stadt betrifft, ist, dass wir ein queeres Zentrum benötigen. Die Beratungs- und Unterstützungsstrukturen müssen gestärkt werden und da reicht es einfach nicht, „sich mal einen Raum zu mieten“. Alle angesprochenen Vereine und Gruppen würden diese Räumlichkeiten regelmäßig nutzen. Zum Beispiel kann das Queere Zentrum Träger für selbstverwaltete Gruppen sein, Hilfesuchende in prekären Situationen würden sofort Hilfe bekommen, alle Gruppen wären an einem Ort gebündelt. Menschen die interessiert sind werden aufgeklärt, aber auch Menschen, die aufgrund ihrer beruflichen Situation fachliche Unterstützung suchen könnten hier beraten werden und Informationen erhalten. 

Am 29. Mai findet die nächste CSD-Demonstration statt – durch die Beschränkungen allerdings etwas anders. Wie sieht der Plan aus? 

Wir starten die Demonstration als Fußgruppe um 13 Uhr am Platz der Deutschen Einheit, bei den Osnabrücker_innen auch Theatervorplatz genannt. Dann geht es zur Hasestraße, Erich-Maria- Remarque-Ring, Berliner Platz, Neumarkt, Alte Münze; Adolf-Reichwein-Platz, Kamp, Derby-Platz, Dielingerstraße, Lortzingstraße und wieder zum Theatervorplatz – Platz der Deutschen Einheit. Wir haben diesen Ort als Start- und Endpunkt gewählt, damit wir genug Fläche haben und die Abstandsregeln einhalten können. 

Im Anschluss wird es noch Abschlussreden von Katja Weber-Kahn (Gleichstellungsbeauftragte), Wolfgang Beckermann (erster Stadtrat), Martina Kreidler-Kos (Bistum Osnabrück), Birgit Strangmann (Vertretung für OB Griesert), Marco Neumann (LSVD) und Rebecca Herzberg (als Sprecherin für das Netzwerk der Vielfalt) geben. Frau Stragmann wird von mir die Forderungen des Netzwerks der Vielfalt entgegennehmen. 

Um 16 Uhr findet wieder ein queerer Gottesdienst in der St. Marienkirche statt, diesmal wird auch der Superintendant der evangelischen Kirche Dr. Joachim Jeska anwesend ist. 

Warum ist es trotz des Lockdowns wichtig, eine Demonstration stattfinden zu lassen? 

Die Beratungs- und Aufklärungsarbeit liegt fast komplett lahm. Schutzräume und Anlaufstellen sind geschlossen, Veranstaltungen abgesagt. Die Diskriminierungen von LSBTIQ* wurde durch die Corona-Pandemie verstärkt und haben in vielen Bereichen zu einer Verschlechterung der Lebenssituation geführt. 

Im März dieses Jahres kam eine Studie heraus, die die Auswirkungen der Coronapandemie auf LSBTIQ* Personen aufzeigt. Diese Studie bestätigt unsere Wahrnehmung. Die Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen wirkt sich auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus. LSBTIQ* sind aufgrund ihrer Identitäten und der Mehrfachdiskriminierung besonders betroffen. 

Für viele queere Jugendliche gibt es derzeit kein sicheres Zuhause. Viele LSBTIQ* haben keinen vernünftigen Zugang zur Gesundheitsvorsorgung, besonders betroffen sind hiervon trans* Menschen. Beratungen, Selbsthilfegruppen aber auch Jugendgruppen finden nicht oder nur digital statt, aber nicht alle haben die Möglichkeit dies auch zu nutzen. 

Die Hasskriminalität gegenüber queeren Menschen ist um 36 Prozent zum Vorjahr gestiegen, die schwulenfeindlichen Morde sind darin noch nicht mal aufgeführt und die Dunkelziffer ist noch höher. Jeden Tag werden LSBTIQ* Menschen beleidigt, angegriffen, bedroht oder Schlimmeres. 45% der LSBTIQ* Personen vermeiden es mit Ihrer_m Partner_in in der Öffentlichkeit Händchen zu halten. 24% vermeiden bestimmte Orte, aus Angst vor Gewalt oder Belästigung. Wenn das aufhört und alle Menschen gleichberechtigt zusammenleben können, dann haben wir unser Ziel erreicht und diese Demo ist nicht mehr nötig.