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Grüne gestehen Fehler ein – MeToo-Verfahren gegen Gelbhaar endet ohne klares Ergebnis

Berlin (dts) – Die Grünen haben die Aufarbeitung der mutmaßlichen MeToo-Affäre um ihren ehemaligen Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar abgeschlossen – mit dem Ergebnis, dass das Ombudsverfahren nicht fortgesetzt wird und dass es keine endgültige Klärung in der Sache geben könne.

Das ergibt sich aus dem Bericht der von der Partei eingesetzten Kommission, die die Vorfälle untersuchen sollte, und einer begleitenden Einordnung des Parteivorstands. Über beide Dokumente, die die Grünen am Donnerstag veröffentlichen wollen, berichtet der „Stern“.

Die Partei räumt darin Fehler ein. Ein Ombudsverfahren habe nie den Anspruch erfüllen können, eine finale Einordnung der Meldungen und ihres Wahrheitsgehaltes vorzunehmen, heißt es in dem Bericht des Bundesvorstands. „Dieser unerfüllbaren Erwartung an das Ombudsverfahren hätten wir frühzeitiger und klarer entgegentreten müssen und die Grenzen des bestehenden Verfahrens zur Lösung des Konflikts in dieser Situation erkennen müssen.“


Auch räumen die Grünen nun ein, dass die Ombudsstelle, eine Anlaufstelle zur vertraulichen, innerparteilichen Konfliktlösung, „schon vor ihrer Einschaltung ungewollt zum Objekt möglicher politischer Instrumentalisierung“ geworden sei. Die Vorwürfe waren erstmals bei einem internen Flügeltreffen der Berliner Grünen laut geworden. Durch den Hinweis der Sitzungsleitung auf die Ombudsstelle sei auch, wenngleich ungewollt, der Eindruck vermittelt worden: „Wer Einfluss auf die Listenaufstellung zulasten von Stefan Gelbhaar nehmen wolle, müsse sich an die Ombudsstelle wenden“, so der Bundesvorstand.

Letztlich sei die Organisation „ihrer Verantwortung gegenüber allen Beteiligten nicht gerecht geworden“, heißt es im Bericht des Bundesvorstands. Sie sei in diesem Fall, in dem viele Faktoren zusammengekommen seien – zeitlicher Druck vor der Bundestagswahl, falsche Medienberichterstattung, fehlende Vertraulichkeit des Verfahrens – „strukturell überfordert“ gewesen. Leidtragende seien Gelbhaar, ebenso die Personen, die Meldungen vorbrachten, „denen nach Aufdeckung der falschen Identität einer anderen Meldung zunächst nicht ausreichend Vertrauen in ihre Schilderungen geschenkt wurde“, so die Grünen.

Rund ein halbes Jahr haben sich die Grünen Zeit gelassen, die Vorgänge zu klären. Man wisse, „dass viele den Bericht gerne schneller gehabt hätten und dass die zurückliegenden Monate für alle Beteiligten belastend waren“, sagte die Parteivorsitzende Franziska Brantner dem „Stern“. „Wir haben uns aber die Zeit genommen, die so ein komplexer Fall erfordert.“

Auch nach der Untersuchung schlägt sich der Bundesvorstand nicht auf eine Seite: Man könne und wolle „dem Wunsch nach einer eindeutigen und finalen Klärung im Sinne einer Rehabilitation oder Sanktionen nicht gerecht werden“, heißt es in dem Bericht des Vorstands. Die geschilderten Erfahrungen berührten „Fragen des gleichberechtigten Miteinanders, des Respekts vor den Grenzen anderer, die Reflexion von aus politischen Positionen erwachsenden Machtverhältnissen“. Dazu müsse sich eine Organisation verhalten, das könne weder eine Ombudsstelle noch eine Kommission, und auch kein Vorstand stellvertretend für die ganze Partei leisten. „Die Entscheidung über Personalaufstellungen obliegt immer den jeweiligen Wahlversammlungen.“

Dass sich der Bundesvorstand nicht eindeutig auf eine Seite schlagen will, ergibt sich wohl auch aus den Erkenntnissen der Kommission: Demnach betreffen die meisten der gegen Gelbhaar vorliegenden Meldungen „kein strafrechtlich relevantes Verhalten“, sondern „Wahrnehmungen von so empfundenen Grenzverletzungen“. Auch war nach der Auffassung der Kommission mit einigen der Meldungen das Ziel verbunden, eine Kandidatur von Gelbhaar bei der anstehenden Bundestagswahl zu verhindern – und nicht, in einem Ombudsverfahren eine vertrauliche Klärung zwischen den betroffenen Parteien zu erreichen. Die Kommission schreibt die Meldungen mit diesem Ansinnen der Berliner Grünen Jugend oder deren Umfeld zu.

Gleichzeitig schreibt die Kommission, dass es im Berliner Landesverband „offenkundig etliche Frauen“ gebe, „die sich vom möglicherweise übergriffigen, aber nicht strafrechtlich relevanten Verhalten“ Gelbhaars tangiert fühlten. Der Bundesvorstand sagte, dass sich sowohl gegenüber der Ombudsstelle als auch der Kommission Frauen „aus beiden Flügeln, mit und ohne Bezug zur Grünen Jugend – gemeldet“ hätten und „von Erfahrungen und Beobachtungen berichtet, die nicht strafrechtlich relevant sind, aber als grenzverletzend, unangemessen oder übergriffig wahrgenommen wurden“.

Die Grünen folgen der Empfehlung der Kommission, im Fall Gelbhaar das Ombudsverfahren nicht fortzusetzen. Für künftige Fälle wollen die Grünen die Strukturen neu aufsetzen. Darum soll sich eine Arbeitsgruppe kümmern. Auf dem Parteitag im November soll die neue Struktur in der Satzung verankert werden.

„Das Spannungsfeld zwischen dem Schutz von Betroffenen und der Wahrung rechtsstaatlicher Standards ist nicht leicht und vor allem nicht einseitig aufzulösen“, sagte der Parteivorsitzende Felix Banaszak. „Dafür braucht es klar verankerte Verfahren und Ressourcen.“ Deshalb sei man Anne Lütkes und Jerzy Montag für die geleistete Arbeit als Leitende der Kommission und die Empfehlungen zur zukünftigen Aufstellung der Ombudsstrukturen sehr dankbar. Jede Organisation sehe „sich mit Grenzverletzungen und der Frage nach dem richtigen Umgang damit konfrontiert, so auch unsere“, so Banaszak weiter. Man wolle eine Partei sein, in der eine „Kultur der Wertschätzung und des Respekts vor den Grenzen anderer“ herrsche.

Foto: Stefan Gelbhaar (Archiv), via dts Nachrichtenagentur