Osnabrück. Mit Treckerdemos und Autobahnblockaden sorgten protestierende Landwirtinnen und Landwirte im Winter 2023/24 für Schlagzeilen. Eine aktuelle Studie der Universität Osnabrück hat die Beweggründe hinter diesen Protesten untersucht und zeigt, dass die Ursachen weit tiefer liegen als die Diskussion um Agrardiesel oder Kfz-Steuern.
Von März bis Juni 2024 befragte das Forschungsteam rund 1.000 Landwirtinnen und Landwirte online und führte zusätzlich 34 Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern landwirtschaftlicher Verbände sowie Betrieben. Das Ziel der Studie „Landwirtschaft in der Krise?“ war es, die wirtschaftliche Lage sowie die Motive hinter den Protesten besser zu verstehen. Die Analyse erfolgte unter der Leitung der Wirtschaftssoziologen Prof. Dr. Hajo Holst und Steffen Niehoff sowie der Wirtschaftsgeographen Prof. Dr. Martin Franz und Dr. Thomas Neise.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich viele landwirtschaftliche Betriebe in einer prekären Lage befinden. Nur 40 Prozent der Betriebe stehen wirtschaftlich stabil, während 58 Prozent Angst haben, ihren Lebensstandard nicht halten zu können“, erklärt Prof. Dr. Hajo Holst. Vor allem die niedrigen Preise, die von Lebensmittelindustrie und Einzelhandel gezahlt werden, stellen ein großes Problem dar – ein Thema, das in den Protesten jedoch kaum angesprochen wurde, so Prof. Dr. Martin Franz.
Eine zentrale Herausforderung für die Branche sind die steigenden gesellschaftlichen Erwartungen an Umweltschutz und Tierwohl. Laut der Studie empfinden 72 Prozent der Befragten diese Anforderungen als nicht umsetzbar. „Viele Landwirtinnen und Landwirte blicken skeptisch auf die sozial-ökologische Transformation und fühlen sich durch bürokratische Überregulierung und mangelnde Wertschätzung der Gesellschaft belastet. Gleichzeitig gibt es jedoch auch Betriebe, denen die Transformation nicht schnell genug geht“, erläutert Steffen Niehoff. „Was wir beobachten, sind grundlegende Transformationskonflikte“, ergänzt Prof. Dr. Holst.
Die Daten belegen zudem eine deutliche Vertrauenskrise in politische Institutionen: Lediglich vier Prozent der Befragten sind mit der politischen Situation zufrieden, und nur 11 Prozent vertrauen der Bundesregierung. „Die Unberechenbarkeit politischer Rahmenbedingungen ist ein großes Problem. Landwirtschaftliche Investitionen, die oft über Jahrzehnte wirken, lassen sich schlecht mit kurzlebigen Politikwechseln in Einklang bringen“, so Prof. Dr. Martin Franz. Auch der Deutsche Bauernverband steht in der Kritik: Nur 19 Prozent der Befragten fühlen sich von ihm gut vertreten, wobei kleinere Betriebe überproportional unzufrieden sind.
Die Studie liefert wertvolle Einblicke in die Herausforderungen und Perspektiven der Landwirtschaft und macht deutlich, dass ein konstruktiver Dialog zwischen Politik, Gesellschaft und Branche notwendig ist, um die Transformationskonflikte zu lösen.
PM/Universität Osnabrück